Ist der Tierärztliche Notdienst zunehmend vor dem AUS? – Der Beginn der Triage in der Tiermedizin!

Liebe Tierbesitzer!

Heute erreichte mich die email einer Klinik, in der die Inhaber angekündigt haben, dass der Notdienst nur noch unter bestimmten Bedingungen erfolgen und weiter aufrechterhalten werden kann:

Echte lebensbedrohliche Notfälle werden versorgt, nicht notwendige Behandlungen abgewiesen.
Jeder Patient muss mit langen Wartezeiten rechnen, selbst wenn er im Notdienst mit seinem erkrankten Tier bereits in der Klinik vor Ort ist.
Es erfolgt keine automatische, schriftliche Rücküberweisung an den Haustierarzt bei ambulanten Behandlungen – eine detaillierte Quittung als Behandlungsnachweis muss reichen!

Und ich muss sagen: Die Kollegen haben völlig RECHT!
Warum ist das so? Was könnte man verbessern?

Hintergrund:

Die Anzahl der Tierärzte und Kliniken, die noch einen funktionierenden Notdienst anbieten können, wird jedes Jahr geringer. In der Folge wird die Versorgung der akuten Notfälle auf immer weniger Schultern verteilt und die Last in den Kliniken und Praxen immer höher.
Auch wir haben viele Jahre einen Notdienst in der Praxis angeboten und mussten ihn im Rahmen der Corona-Pandemie deutlich einschränken.

Die Gründe sind schnell erläutert:
Während der Pandemie im Frühjahr 2020 mussten wir jeden direkten Patientenkontakt vermeiden. Im Notdienst ist bei uns ein Tierarzt mit dem Besitzer in der Behandlung gewesen. Sichere Abstände einzuhalten und damit sicheres Arbeiten wäre nicht möglich gewesen. Eine Infektion konnte nur ausgeschlossen werden, indem wir den TEAM-BESITZER-Kontakt unterbanden.
DENN: Die Infektion eines einzigen Mitarbeiters im Team hätte zum Einstellen des kompletten Praxisbetriebes für mindestens 14 Tage geführt.
Dieses Risiko war zu hoch und wir mussten daher den Notdienst konsequenterweise einstellen.

Aktuell sind die Impfungen und die Schutzmaßnahmen zwar deutlich fortgeschritten, so dass eigentlich ein Notdienst wieder möglich sein könnte – allein er ist nicht schaffbar!
Jede meiner Kolleginnen und jeder meiner Kollegen in unserer Praxis arbeitet tagsüber am Limit.

Wir schieben plötzliche Notfälle und besorgte Besitzer und deren Lieblinge in voll geplante Terminsprechstunden ein und stellen die Versorgung der Tiere bestmöglich sicher.
Nur im allergrößten Ausnahmefall sagen wir- „Nein, Sie können nicht kommen!“, denn wir wissen um die Sorge der Besitzer und wollen gerne auch helfen.
Diese Situation führt uns aber jeden Tag bereits tagsüber an unser Limit. Die Erholung in der Nacht und den Abend brauchen wir für die Patienten des nächsten Tages! Nach so einer übervollen Woche ist das Wochenende dringend von Nöten.

Ähnlich geht es mit Sicherheit den Kolleginnen und Kollegen an den Kliniken – nicht nur in München, sondern bundesweit!

Tierärzte und Tiermedizinische Fachangestellte fehlen in großer Zahl

Manch einer mag fordern: „Dann stellt doch einfach mehr Tierärzte ein! Das ist doch ganz einfach!“ – Das ist es leider nicht!

Zunehmend weniger, jüngere gleichermaßen wie ältere, Kollegen sind aus den o.g Gründen bereit, ausserhalb normaler Sprechzeiten zu arbeiten oder Notdienst zu leisten. Das Thema „Work-Life-Balance“ nimmt, im Übrigen völlig zurecht, auch in unserer Berufsgruppe einen immer größeren Stellenwert ein. Eine 50/60 Stunden Woche ist auf Dauer einfach nicht attraktiv.

Eine hohe Anzahl, zwischen 25% bis 50% (!), der Absolventen der Tiermedizinsichen Hochschulen arbeiten später nicht im klinischen Beruf.

Man muss sich klar machen, was das bedeutet:
Es gibt in Deutschland genau 5 Tiermedizinische Hochschulen: München, Leipzig, Hannover, Giessen, Berlin.

Ca. 2 von diesen 5 Hochschulen in Deutschland bilden Studenten hinsichtlich der praktischen Tierversorgung also vergeblich aus – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen!
Das ist ein volkswirtschaftlicher Totalschaden und für die Tiere und Tierbesitzer eine Katastrophe kosmischen Ausmaßes!

Ein gewisser Anteil derer, die es dennoch in die klinische Arbeitswelt schaffen, sind oft der vollen Wucht des Praxisalltages und der Notdienste ausgesetzt und quittieren den Dienst in den Kliniken nach wenigen Jahren oder verlassen die klinischen Betriebe gänzlich. Denken Sie mal nach! Wie oft stehen sie vor einem neuen Tierarzt in Ihrer Klinik? Regelmäßig? Jetzt kennen Sie den Grund!

Das Gleiche gilt im Übrigen für die TFA, unsere hilfreichen Mitarbeiter an der Anmeldung in der Behandlung und auf Station.
Vielfach werden Sie gering geschätzt, aber ohne die TFA läuft der Laden erst recht nicht!
Ein kleiner Tipp am Rande: Missachten Sie die Damen an der Anmeldung bloß nicht und seien Sie stets nett zu den TFA. Sie sind ihr Ansprechpartner zum Inhaber und in den meisten Fällen wie seine rechte Hand. Eher glaubt man der TFA als Ihnen.

Auch hier verschwinden die TFA nach der Ausbildung klassenweise aus den Praxen und wechseln in andere Berufe. Sie sind meist für immer weg!

 

Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht zu denen gehöre, die jammern, aber keine Vorschläge bringen.

Was könnte verbessert werden und wie die Zukunft aussehen!
Rechtzeitige Terminvereinbarung unter der Woche – Nehmen Sie sich Zeit für die Gesundheit Ihres Tieres

Sie könnten Ihre Tierarzt-Termine rechtzeitig planen.
Ihr Tier ist bereits länger krank, aber Sie haben keine Zeit? Dann nehmen Sie sich die Zeit und schieben Sie es nicht auf das Wochenende oder hoffen auf den Notdienst. Das wird in Zukunft immer öfter schief gehen!

Tauschen Sie Dienst, nehmen Sie auf Überstunden frei oder nehmen Sie Urlaub!
Es ist IHR Tier und IHRE Verantwortung für eine medizinische Versorgung des Lieblings zu sorgen.

Eine von einer Praxis oder Klinik angebotene Samstagssprechtunde soll den Notdienst entlasten und ist in der Regel nur ausnahmsweise für spontane Impfungen etc. vorgesehen. Akut kranke Tiere sollen die Möglichkeit haben, vor dem Sonntag noch tierärztlich untersucht und versorgt zu werden.

Vertrauen Sie Ihrem Tierarzt und lassen Sie Ihr Tier auch in der Praxis, wenn man Ihnen das anbietet

Ihr Tier ist bereits länger krank? Nehmen Sie bereits in der Früh Kontakt zu Ihrer Praxis auf und warten Sie nicht bis zu Ihrem Feierabend. Dann kann in aller Regel nur noch Notfallmedizin oder wieder die Überweisung in den Notdienst einer Klinik erfolgen.

Wir und viele andere Kollegen bieten den Service einer Tagesklinik. Nutzen sie dieses Angebot und überlassen Sie uns Ihr Tier für die Versorgung.
Wie funktioniert das bei uns? Sie rufen um 8.00 Uhr bei uns an, weil Sie und Ihr Liebling eine schlimme Nacht hatten. Ihr Tier ist plötzlich krank. In der Regel bekommen sie bei uns tagesgleich keinen Abklärungstermin mehr.
Wenn Sie jedoch bereit sind, Ihren Liebling tagsüber bei uns zu lassen, können wir die Versorgung in der Regel darstellen und auch sorgfältig durchführen.
Zwischen zwei regulären Terminen findet sich bestimmt Zeit für einen Tierarzt Ihr Tier zu untersuchen und einen Diagnostik- und später auch Therapieplan festzulegen. Unsere gut ausgebildeten TFA können z.B. nach Anweisung Blut nehmen, Röntgenbilder anfertigen, Infusionen und Medikamente verabreichen, EKGs anfertigen oder Computertomographien (CT) durchführen.
Die Untersuchung, die Befundung und die Therapiefestlegungen verbleiben natürlich weiter in den Händen der Tierärzte.

Der große Vorteil bei diesem Modell einer tierärztlichen Tagesklinik ist, dass Ihr Tier versorgt werden kann, was sonst nicht möglich gewesen wäre.
Im Übrigen ist das auch eine Möglichkeit Ihr Tier versorgen zu lassen, wenn Ihr Chef Ihnen mal nicht für den Tierarzttermin freigibt.
Corona hat uns gezeigt, dass die meisten Tiere sich auch ohne Ihre Besitzer hervorragend und unaufgeregt behandeln lassen.

Bringen Sie Geduld und Zeit im Notdienst mit und rechnen Sie mit hohen Kosten!

Wenn die Inhaber nur noch schwer Tierärzte finden, die den Notdienst überhaupt noch leisten wollen, ist es nur fair, gerecht und überaus notwendig, diese Arbeit adäquat zu entlohnen. Diese Kosten werden Sie als Kunden übernehmen müssen – anders geht es nicht.
Die GOT in ihrer letzten Novelle aus dem Frühjahr 2020 ebnet dafür auch den Weg. Sie erlaubt die Verwendung des 4-fachen GOT-Satzes ausserhalb der Sprechzeiten, für das Wochenende z.B. beginnend ab Freitag 18.00 Uhr.
Zusätzlich wurde eine Notdienstpauschale von 50 EUR + 19%MwSt. eingeführt. Diese Pauschale ersetzt nicht den Steigerungsfaktor.
Sie wird zusätzlich berechnet.

Vor Ort wird immer und ausnahmslos das Praxispersonal über die Reihenfolge der Behandlung entscheiden und nicht Sie, oder die Reihenfolge Ihres Eintreffens. Das nennt man dann Triage.
Wenn Sie Pech haben, treffen, während Sie schon lange in der Praxis oder Klinik sitzen und warten, immer neue und schwerer erkrankte Tiere ein, die sofort versorgt werden müssen und deswegen vorgezogen werden. Selbst wenn Sie es vielleicht nicht auf Anhieb sehen oder verstehen, führen Diskussionen nicht weiter.
Rechnen Sie damit und bleiben Sie geduldig

Lernen Sie den Unterschied zwischen Notfall, dringlich und verschiebbar! Im Zweifel entscheidet immer der Tierarzt oder die ausgebildete TFA in der Praxis vor ORT.

Ein Hund mit Autounfall, eine Katze nach Fenstersturz, ein Kaninchen, das nicht frisst, werden als Notfälle eingestuft. Der Hund mit gutem Allgemeinbefinden, dessen Durchfall schon 3 Tage andauert ist vielleicht dringlich, manchmal auch verschiebbar.
Die Zecke am Auge muss nicht im Notdienst einer Praxis oder Klinik entfernt werden – das können Sie selbst lernen ;).
Viel zu viele Bagatell- oder unnötig verschleppte Fälle belasten den Notdienst der meisten Praxen oder Kliniken unnötig. Wir verstehen die Sorge um ihr Tier, aber wir haben als Tierärzte Mühe zu verstehen, warum z.B. eine Hautentzündung unbedingt in der Nacht oder am Sonntag abgeklärt werden soll.
UND eines noch: Erfinden Sie keinesfalls Notfälle um einen Impftermin zu „ergaunern“. Auch Ungeduld und „Druck machen“ sind absolut fehl am Platz.

Sorgen Sie vor – Tierkrankenversicherung!

Prüfen Sie ob und welche Tierkrankenversicherung für Sie geeignet ist. Sichern Sie die Risiken ab. Die Mindestanforderungen ergeben sich aus dem oben Gesagten.
Freie Tierarztwahl, höchster GOT-Faktor, geringe Selbstbeteiligung sind Mindestanforderungen für den Notdienst.

 

Auch wir Tierärzte führen intern rege Diskussionen und überlegen, wie wir einzeln und über unsere Verbände die Versorgung der Tiere im Notdienst sicherstellen könnten.
Eines ist auf absehbare Zeit klar:
Tierärztemangel und Kliniksterben werden zunächst weitergehen und die Situation wird zunehmend schlimmer werden und die
Kosten für die tierärztliche Versorgung der Tiere werden sowohl tagsüber als auch im Notdienst deutlich steigen.

Ihre Tierärztliche Praxis

Dr. Sommer